40 Jahre Fristenregelung: Dr. Gertraude Steindl im Interview mit „Der Sonntag“
Am 1. Jänner 1975 trat die Fristenregelung in Kraft: Welches Resümee zieht die Aktion Leben 40 Jahre danach?
Seit der Einführung der Fristenregelung ist jedes Interesse der Politik daran erloschen, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche so gering wie möglich zu halten und überhaupt noch über dieses Thema zu sprechen. Jede Frau hat heute einen leichten Zugang zu einer Abtreibung. Daraus ist eine Einstellung entstanden, nur noch „ein Kind nach Plan“ zu akzeptieren. Was jetzt übrigens voll durchschlägt auf die Haltung zur Fortpflanzungsmedizin. Viele glauben, dass man ein Kind „machen“ kann, mit welchen Mitteln auch immer und wann immer man will.
Nicht nur für Frauen, die unter einem Schwangerschaftsabbruch leiden, ist es unerträglich, dass dieses Thema gesellschaftlich tabuisiert und von der Politik ignoriert wird. Aus vielen Beratungen wissen wir, dass das vorschnell als ungewollt bezeichnete Kind oft einer unterbewussten Sehnsucht nach Familie und Mutterschaft entspringt, das aber aus Angst und Mutlosigkeit nicht angenommen werden kann. Damit jedes Kind und jede schwangere Frau mit Freude willkommen geheißen wird, müssen sie von Gesellschaft und Politik mehr Aufmerksamkeit und bessere Lebenschancen bekommen. Dann würden sich viel mehr Frauen für das Leben mit Kindern entscheiden.
Warum ist die Fristenregelung, wie Kardinal König bis zu seinem Tod sagte, eine „offene Wunde“?
Die Fristenregelung ist und bleibt eine offene Wunde, weil die Gesellschaft versagt, diese Wunde so zu versorgen, dass sie heilen kann. Es gibt keinerlei Bereitschaft der politischen Parteien, sich an einem Runden Tisch zu treffen und gemeinsam wirkungsvolle Maßnahmen zu vereinbaren, wie Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden können. Das Negieren des Problems geht so weit, dass die Politik nicht einmal wissen will, wie viel Abtreibungen es jährlich in Österreich gibt und warum Frauen sich gegen das ungeborene Kind entscheiden. Mit dieser Verweigerungspolitik sind wir Schlusslicht im europäischen Vergleich.
Was wurde aus den vom Nationalrat – im Gegensatz zur Fristenregelung – einstimmig beschlossenen „flankierenden Maßnahmen“ zum Schutz des ungeborenen Lebens?
Nicht verwirklicht sind auch 40 Jahre nach Einführung der Fristenregelung die von allen Parteien damals einstimmig beschlossenen flankierenden Maßnahmen. Zu diesen Maßnahmen hätte auch eine Abbruch-Statistik gehört als seriöse Grundlage für weitere Programme, die das Leben mit Kindern in unserer Gesellschaft erleichtern. aktion leben sammelt derzeit Unterstützungserklärungen für eine Parlamentarische Bürgerinitiative, um wenigstens in dieser Frage die Politik endlich zum Handeln zu bewegen. Mir kommen die seinerzeit beschlossenen flankierenden Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens wie ein billiges Trostpflaster vor, das nie ernsthaft zur Heilung gedacht war. Offenbar sollte nur oberflächlich und schnell zugedeckt werden, was man nicht sehen will. Denn dann müsste man handeln.
Stefan Kronthaler